Von der Beziehung zur Bindung
Dies ist ein Auszug aus dem 2. Band meiner Buchreihe ICH HALTE DICH
mit dem Titel "Die sichere Bindung als beste Erziehung"
Mit jedem Lebewesen, zu dem man Kontakt aufnimmt, steht man automatisch in Beziehung. „Beziehung“ sagt jedoch zunächst noch nichts darüber aus, um welche Art von Beziehung es sich handelt, oder welche Qualität diese Beziehung aufweist. Eine Beziehung ist kein statisches Gebilde, sondern permanenten Änderungen unterworfen, da sich jede Äußerung und Handlung auf sie auswirkt. Dies gilt auch für eine Bindung, die eine emotionale Beziehung ist, so dass sich auch in ihr die Personen in ihrer Wahrnehmung und in ihrem Tun gegenseitig beeinflussen:
„Bindung ist ein vom Gefühl getragenes Band, das eine Person zu einer anderen spezifischen Person anknüpft, das sie über Raum und Zeit hinweg miteinander verbindet.“
Meist wird die andere Person als stärker und weiser empfunden. Man kann an mehr als eine Person gebunden sein, aber nicht an viele. Seelisches und körperliches Trennungsleid sind ein eindeutiges Zeichen für Bindung. Warum treten überhaupt Menschen mit Hunden in Beziehung? Diese Frage beantwortet in meinen Augen am besten der Ansatz von Kurt Kotrschal, wonach sich die Sozialfähigkeit von Wirbeltieren – und damit von Hund und Mensch – stammesgeschichtlich ähnlich entwickelt hat, und ihrem Sozialverhalten vergleichbare Strukturen und Mechanismen zugrunde liegen.
Die Bindung als Band zwischen zwei Sozialpartnern sollte kein „seidener Faden“ sein, der kaum Belastung erträgt und schnell reißt. Genauso wenig sollte das Band wie eine schwere Eisenkette den aufrechten Gang erschweren und so sehr belasten, dass man sich nur noch mit gesenktem Kopf durchs Leben schleppen kann. Ebenso wenig geht es um ein Kräftemessen, bei dem der andere wie ein Gegner in einem regelrechten Tauziehen bezwungen wird. Sehen Sie vielmehr das Band als ein Versorgungskabel, das stark und witterungsbeständig allen Stürmen und Widrigkeiten des Lebens trotzt und positive Kraft zum Leben gibt.
Ich favorisiere die Ansicht, dass Bindung durch das Befriedigen elementarer Bedürfnisse entsteht. In der Mensch-Hund-Beziehung ist der Hund wie ein Kind auf den Schutz und die Fürsorge seiner Bezugsperson angewiesen. Der Befriedigung der elementaren Bedürfnisse kommt eine weitreichende Bedeutung und damit eine hohe Wichtigkeit zu: Das Bedürfnis eines sozial organisierten Lebewesens nach Zuwendung und emotionaler Bindung dient dem überleben sowie der Arterhaltung und ist evolutionsbiologisch begründet. Diese biologische Neigung lässt aktiv den Kontakt zu einer Bezugsperson suchen, um sicherheitgebende Sozialkontakte zu erhalten. Die Bindungsperson wird als sichere Basis genutzt, um die Umwelt unbelastet und sorgenfrei zu erkunden und um sich ihr anpassen zu können. Der Schutzpflichtige profitiert ebenfalls von dieser Beziehung: auch sein Bedürfnis nach Nähe und Zuwendung wird erfüllt, und er wächst in der Erfüllung der Aufgabe über sich hinaus.
Im Amerikanischen gibt es für „Bindung“ je nach Sichtweise zwei Wörter: Die Bindung des Fürsorgenden zu seinem Schützling wird als „bonding“ bezeichnet und steht für die Bereitschaft, sich emotional auf ihn einzulassen. Der Begriff „attachment“ beschreibt die Bindung der schwächeren Person – unabhängig von ihrem Alter – an eine vertraute, stärkere Person, von der sie Schutz und Fürsorge erwartet und der sie sich in belastenden Situationen zuwenden kann. Die Bindung als Eltern-Kind-Beziehung beschreibt ein Verhaltenssystem zwischen dem zu schützenden Kind und den fürsorgenden Eltern. Meiner Erfahrung nach ist das Bindungssystem Eltern-Kind auf den Menschen mit seinem Hund übertragbar, wie ich im Kapitel „Bindung beim Hund“ aufzeige.
